Die heute 19 Jahre alte Klägerin leidet seit dem zehnten Lebensjahr an Diabetes mellitus. Von 2007 bis 2009 befand sie sich in der augenärztlichen Behandlung der beklagten Augenärztin. Nach den Sommerferien 2008 suchte die Klägerin die Beklagte mehrfach wegen fortschreitender Verschlechterung ihrer Sehleistung auf, ohne dass die Beklagte bis zur letzten Behandlung im Februar 2009 eine Augeninnendruckmessung veranlasste. Nach einer notfallmäßigen Aufnahme der Klägerin wegen eines erhöhten Augendrucks diagnostizierte die Augenklinik einen fortgeschrittenen „Grünen Star“. In der Folgezeit musste die Klägerin an beiden Augen operiert werden. Eine hochgradige Verschlechterung ihrer Sehfähigkeit von zuvor noch über 60 Prozent auf Werte unterhalb von 30 Prozent konnte allerdings nicht mehr verhindern werden. Wegen der versäumten Feststellung des erhöhten Augendrucks hat die Klägerin von der Beklagten Schadenersatz begehrt, unter anderem ein Schmerzensgeld von zunächst 45.000 Euro. Ihre Schmerzensgeldvorstellung hat sie nach Bekanntwerden der Möglichkeit, dass sie erblinden könne, auf 80.000 Euro erhöht. Die Schadenersatzklage der Klägerin war erfolgreich. Über das vom Landgericht zugesprochene Teilschmerzensgeld von 25.000 Euro hat das OLG Hamm der Klägerin weitere 55.000 Euro zugesprochen und damit das Schmerzensgeld auf insgesamt 80.000 Euro erhöht. Die Beklagte hafte, so das von einem medizinischen Sachverständigen beratene OLG, aufgrund eines groben Befunderhebungsfehlers. Bei ihrer letzten Behandlung im Februar 2009 habe sie es versäumt, eine Augeninnendruck- und eine Gesichtsfeldmessung durchzuführen und so der Ursache der sich verschlechternden Sehfähigkeit weiter nachzugehen. Wäre der erhöhte Augeninnendruck bei der Klägerin seinerzeit medikamentös behandelt und die Klägerin als Notfall in eine Augenklinik eingewiesen worden, hätten die später eingetretene Gesichtsfeldeinschränkung und der weitere Verlust der Sehfähigkeit möglicherweise erheblich geringer ausfallen können. Dabei sei der tatsächliche Verlauf
der Erkrankung im vorliegenden Fall zulasten der Beklagten zu berücksichtigen. Es liege ein grober Befunderhebungsfehler vor, dem die eingetretenen Folgen zuzurechnen seien.
Der Klägerin sei ein Schmerzensgeld von 80.000 Euro zuzusprechen. Durch die verspätete Behandlung sei der noch jungen Klägerin die Möglichkeit genommen worden, ein adäquates Leben zu führen. So sei sie bei sportlichen Aktivitäten stark eingeschränkt und könne keinen Pkw führen. Weiterhin müsse sie einen Beruf ergreifen, der ihrer stark eingeschränkten Sehfähigkeit Rechnung trage. Sie benötige einen für ihre geringe Sehkraft speziell eingerichteten Arbeitsplatz. Zudem bestehe die Gefahr, dass sie zu Lebzeiten erblinde, auch wenn sich der Zeitpunkt derzeit noch nicht abschätzen lasse. Das zugesprochene Schmerzensgeld sei aufgrund der bestehenden und absehbaren Folgen gerechtfertigt. Allein die zeitlich nicht hinreichend sicher absehbare Erblindung habe das OLG noch nicht berücksichtigt. Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 10.05.2016, 26 U 107/15
Geklagt hatte ein Verbraucherschutzverein aus Stuttgart. Die Beklagte betreut so genannte Serviceverträge, mit denen Verbraucher gegen ein monatlich gezahltes Serviceentgelt so genannte Reisewerte erwerben. Diese ermöglichen es dem Verbraucher, bei einer späteren Reisevermittlung über ein im Vertrag bestimmtes Reisebüro Reiseleistungen, verbunden mit Sonderkonditionen, und auch reisebezogene Serviceleistungen, zum Beispiel eine Auslandskrankenversicherung, in Anspruch zu nehmen. Die Reisewerte sind dabei auf den Reisepreis zu verrechnen und können an den Verbraucher nicht in bar zurückgezahlt werden. Einen derartigen Servicevertrag hatte eine Verbraucherin im Jahr 2006 für ein monatliches Serviceentgelt von 75 Euro abgeschlossen. Dieser Kundin übersandte die durch ihre persönlich haftende Gesellschafterin vertretene Beklagte im Juni 2013 eine Aufstellung über gezahlte Serviceentgelte und erworbene Reisewerte. In dem Schreiben wies die Beklagte darauf hin, dass die Ansprüche der Kundin auf Anrechnung der Reisewerte binnen drei Jahren verjährten und die Verjährung am Schluss des Jahres beginne, in dem der jeweilige Reisewert erworben worden sei. Die Aufstellung enthielt zudem die Angabe, welche Einzelwerte aufgrund ihrer Verjährung zum Ende der Jahre 2011 und 2012 vom Reisewertbestand abzuschreiben wären.
Diese Angaben zur Verjährung und Abschreibung hält die Klägerin für rechtlich unzulässig und irreführend. Sie verlangt von den Beklagten, also der Firma und deren persönlich haftender Gesellschafterin, derartige Angaben gegenüber Verbrauchern mit derartigen Serviceverträgen zu unterlassen.
Die Unterlassungsklagen waren erfolgreich. Die der geschäftlichen Tätigkeit beider Beklagten zuzurechnende Aufstellung enthalte irreführende Angaben zu den angebotenen Dienstleistungen, hier zum Beginn der Verjährung des Anspruchs des Verbrauchers auf Anrechnung erworbener Reisewerte, so das OLG Hamm. Auch die mit diesen Angaben vorgenommenen Abzüge vom Reisewertbestand seien irreführend, weil die Abzüge nicht der materiellen Rechtslage entsprächen. Die Einzelwerte des Verbrauchers verjährten nicht am Schluss des Jahres, in dem sie erworben worden seien. Die Verjährung der von ihnen verkörperten Anrechnungsansprüche beginne vielmehr erst am Schluss des Jahres, in dem ein Verbraucher den Anrechnungsanspruch geltend gemacht habe.
Der Anspruch sei ein so genannter verhaltener Anspruch. Das bedeute, dass der verpflichtete Vertragspartner des Verbrauchers die geschuldete Leistung nicht von sich aus erbringen könne, sondern erst leisten dürfe, nachdem sie der Verbraucher verlangt habe. Als Kunde habe der Verbraucher den Anspruch, in Höhe der angesparten Reisewerte von den Kosten einer von ihm ausgesuchten und gebuchten Reise freigestellt werden. Nach den zugrunde liegenden Vereinbarungen und der Interessenlage der Beteiligten werde dieser Anspruch erst fällig, wenn der Kunde eine Anrechnung seiner Reisewerte auf eine konkrete, bereits vermittelte Reise verlange. Dementsprechend beginne der Lauf der Verjährungsfrist erst am Ende des Jahres dieses Leistungsverlangens des Verbrauchers.
Die abweichende, irreführende Darstellung im Schreiben der Beklagten sei auch geschäftlich relevant, betont das OLG Hamm. Sie sei geeignet, einen Verbraucher, der die drohende Verjährung von Reisewerten vor Augen habe, zu einer dies verhindernden Reisebuchung zu bewegen.
OLG Hamm, Urteile vom 05.04.2016, 4 U 36/15 und 4 U 138/15, nicht rkr